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Incirlik: Die Bundeswehr in der Türkei

Foto: Bundeswehr/Falk Bärwald/dpa

Türkei untersagt Truppenbesuch Bundeswehr peilt Abzug aus Incirlik an

Die türkische Regierung hat Bundestagsabgeordneten einen Besuch bei deutschen Soldaten auf dem Stützpunkt Incirlik verboten. Das Auswärtige Amt nennt die Entscheidung "absolut inakzeptabel", die Bundeswehr plant den Abzug.

Die Reise war für diese Woche geplant, am Dienstag sollte es losgehen: Mehrere Bundestagsabgeordnete wollten im türkischen Incirlik stationierte Bundeswehrsoldaten besuchen. Die Türkei hatte jedoch trotz mehrfacher Bitten des Auswärtigen Amts (AA) keine formale Genehmigung für die geplante Visite erteilt.

Die Bundeswehr hat in Incirlik derzeit rund 260 Soldaten, mehrere "Tornado"-Aufklärungsjets und Tankflugzeuge stationiert. Von dort aus fliegt die Luftwaffe ihre Unterstützungsmissionen im Kampf der internationalen Koalition gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Die Kampfjets fliegen jedoch nicht bei Luftschlägen mit, sondern liefern nur Aufklärungsbilder für die Koalition und betanken die Jets anderer Nationen in der Luft.

Kanzlerin Angela Merkel kritisierte das neue Besuchsverbot. "Das ist misslich. Und wir haben das auch auf den verschiedenen Kanälen klar gemacht", sagte sie. Die Bundeswehr werde weiter prüfen, ob es Alternativen zur Verlegung deutscher Soldaten in andere Länder wie Jordanien gebe. "Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Damit ist es absolut notwendig, dass Besuchsmöglichkeiten für unsere Abgeordneten bestehen bei ihren Soldatinnen und Soldaten", betonte Merkel.

Das Auswärtige Amt hatte in den letzten Tagen immer wieder auf eine Genehmigung durch die Türkei gedrängt, für den Besuch ist zudem immer auch eine sogenannte "diplomatic clearance" für den Flug über der Türkei und eine Landung in Incirlik notwendig.

Nun, einen Tag vor der Reise, wurde von der Türkei mitgeteilt, der Besuch von Abgeordneten sei bis auf Weiteres nicht möglich, ein konkreter Grund wurde dem Vernehmen nach jedoch nicht genannt.

Die Bundesregierung erwägt nach der Entscheidung der Türkei erstmals konkret den Abzug der Soldaten und der Flugzeuge aus der Türkei. So soll in den kommenden zwei Wochen geprüft werden, ob man auf einen anderen Standort ausweichen kann. Nach SPIEGEL-Informationen hofft die Regierung, dass allein dieser Schritt den Nato-Partner Türkei möglicherweise zu einer Änderung der bisherigen Linie bewegt.

Ankaras Entscheidung offenbar Reaktion auf Asyl für türkische Soldaten

Das Auswärtige Amt und sogar Minister Sigmar Gabriel (SPD) hatte sich in den letzten Tagen noch einmal für die Genehmigung eingesetzt. Am Rand einer Geberkonferenz für Somalia sprach Gabriel über das Thema auch noch einmal mit dem türkischen Premierminister Binali Yildirim. Der habe allerdings, so heißt in es in Regierungskreisen, klargemacht, dass eine solche Genehmigung in absehbarer Zeit nicht möglich sei.

Konkreter Grund für den neuen Streit ist offenbar, dass Deutschland in den letzten Wochen mehreren türkischen Armee-Offizieren Asyl in Deutschland gewährt hat. Die Soldaten, von denen die meisten in Deutschland stationiert waren, hatten angegeben, ihnen drohe in der Türkei eine nicht rechtsstaatliche Verfolgung, da man sie als Anhänger des Predigers Fethullah Gülen sehe, den Präsident Erdogan als Drahtzieher des gescheiterten Militärputsches beschuldigt.

Die Bundesregierung hat die erneute Absage einer Abgeordneten-Reise zu deutschen Soldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik durch die Türkei scharf kritisiert. Es sei "absolut inakzeptabel", dass der vor Wochen angekündigte Besuch nun nicht möglich sei.

Scharfe Kritik von Grünen-Politikerin Brugger und vom CDU-Politiker Brand

"Es ist der nächste Riesenaffront, dass den Abgeordneten der Besuch in Incirlik untersagt wurde", sagte auch Agnieszka Brugger, Sprecherin für Sicherheitspolitik und Abrüstung der Grünen-Bundestagsfraktion. "Es ist zynisch und völlig inakzeptabel von der türkischen Regierung, diese Frage mit den Asylverfahren türkischer Soldaten zu verknüpfen."

Auch der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestags, der CDU-Politiker Michael Brand, hätte an der Delegationsreise nach Incirlik teilnehmen sollen. Er forderte im Gespräch mit dem SPIEGEL die Bundesregierung auf, "schleunigst und konkret" Alternativen zum Stützpunkt zu prüfen. "Erdogans Kurs wird immer stärker zu einem echten Sicherheitsrisiko, auch außerhalb der Türkei", so Brand. Wer im gemeinsamen Kampf gegen den IS "so unterirdisch mit einem wichtigen Partner wie Deutschland umgeht, dem muss endlich ein Stoppschild gesetzt werden". Es sei jetzt die Zeit gekommen, "Entscheidungen zu treffen und zu handeln".

Der CDU-Politiker nannte die Asylverfahren in Deutschland für türkische Soldaten ein weiteres, nicht zu überhörendes Alarmsignal. "Wer jetzt nicht handelt, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, Erdogan zu weiterer Eskalation geradezu einzuladen", sagte Brand.

Die Debatte über neue Standorte für die Bundeswehr außerhalb der Türkei war bereits 2016 aufgeflammt. Grundsätzlich könnte die Bundeswehr recht schnell aus Incirlik abziehen, bereits vergangenes Jahr hatte die Luftwaffe mindestens zwei alternative Standorte für die "Tornados" und die Soldaten inspiziert, einer liegt in Jordanien, aber auch Zypern kommt als Ausweichbasis infrage.

Der Streit zwischen der Türkei und Deutschland ist nicht neu

Nach einem langen Streit um die Reisen von Abgeordneten zu den Bundeswehrsoldaten in Incirlik im Jahr 2016 hatte die Bundesregierung mühsam eine Art Kompromiss mit der Türkei erreicht, demnach sollten zumindest Delegationen des Bundestags, allerdings keine einzelnen Abgeordneten, nach Incirlik reisen dürfen.

2016 hatte die Türkei Bundestagsabgeordneten über Monate den Besuch bei den deutschen Soldaten verweigert, Grund für die Verstimmung war die Resolution des Bundestag, die an den Armeniern begangene Verbrechen im Osmanischen Reich als Völkermord anerkannte.

Die Bundesregierung hatte daraufhin klargestellt, dass die Resolution vom Bundestag und nicht von der Regierung verabschiedet worden sei, zudem wies sie daraufhin, dass eine solche Resolution nicht rechtlich bindend sei.

mgb/dop/sev/dpa